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IAK Theolinguistik in Brno/Brün 2016


während der 24. Linguistik- und Literaturtage der Gesellschaft für Sprache und Sprachen (GeSuS) vom 22. bis zum 24. Juni 2016 in Brno/Brünn (Tschechische Republik)

Abbildung: Die gastgebende Fakultät der Universität in Brno -

Abbildung: Die aufmerksamen Zuhörer -


Leitung des AKs "Theolinguistik" vor Ort:


• Prof. Dr. habil. Albrecht Greule (Universität Regensburg), albrecht.greule@mailrgb.de
• Dr. theol. habil., Dr. phil. Elżbieta Kucharska-Dreiß (Akademische Verlagsoffizin Bauer & Raspe), e.kucharska-dreiss@wp.pl

Thematischer Schwerpunkt des AKs:
Sprache der Religion – Sprache der Politik

Beschreibung:
Mit dem thematischen Schwerpunkt „Sprache der Religion – Sprache der Politik“ möchte der Arbeitskreis Theolinguistik diesmal die Sprachverwendung in zwei Lebens- und Kommunikationsbereichen fokussieren, die in ihrem Kern zwar als getrennte Bereiche wahrgenommen werden, zwischen denen es aber sehr wohl Berührungspunkte und Überschneidungen gibt. Diese gestalten sich sehr vielfältig und rufen – je nach Modalität und je nach Perspektive, aus der geschaut wird – unterschiedliche Reaktionen (darunter auch Emotionen) hervor: von Vertrauen, Zustimmung oder gar Begeisterung bis zur Distanz, Ablehnung oder gar Abscheu.
Aus dem breiten Spektrum der zu untersuchenden Texte, Sprachhandlungen und Phänomene nennen wir anschließend nur einige wenige, die ausschließlich als Anregung (und nicht etwa als Begrenzung) zu verstehen sind:
• Fürbitten für die Regierenden
• politische Predigten
• „Europa-Gottesdienste“
• patriotische und nationalistische Kirchenlieder
• sprachliche Anlehnung des Totalitarismus an die Religion
• Sprache im religiösen bzw. im militanten religiösen Fanatismus
Wohl wissend, dass der Gebrauch von Sprachen und Sprachvarietäten nicht nur Gemeinschaft stiften, sondern auch Abgrenzung fördern kann, d.h. nicht nur verbinden, sondern durchaus auch trennen, möchten wir die Referenten dazu einladen, die Sprache der Religion und die Sprache der Politik aufeinander zu beziehen und in ihren Beiträgen die interessanten Ergebnisse daraus vorzustellen.
So hoffen wir, im Arbeitskreis die Grenzbereiche und Ausprägungen zu beleuchten, die zwischen dem Gebrauch und dem Missbrauch der religiösen Sprache bzw. zwischen ihren primären Funktionen und ihrer Zweckentfremdung liegen.

REFERATE am 22. Juni 2016:

Dr. theol. habil., Dr. phil. Elżbieta Kucharska-Dreiß (Akademische Verlagsoffizin Bauer & Raspe, Insingen, Deutschland): Religion und Politik: ein Neben-, ein Mit- oder ein Gegeneinander? Einführungsreferat in den AK Theolinguistik
Bevor die einzelnen Referate des AKs den Themenkomplex „Sprache der Religion – Sprache der Politik“ aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten, bietet das Einführungsreferat eine erste Orientierung über das Verhältnis von Religion und Politik. Die Geschichte und die Gegenwart lehren uns, dass dieses Verhältnis als ein Neben-, ein Mit- oder ein Gegeneinander bezeichnet werden kann – je nachdem, welche Akteure (und mit ihnen Wertesysteme, Ideologien, Glaubensvorstellungen etc.) in den beiden Lebens- und Kommunikationsbereichen vorherrschen. Nach einigen dahingehend kommentierten Momentaufnahmen aus der älteren und jüngeren Vergangenheit widmet sich das Referat dem aktuellen Verständnis von Politik und vom politischen Engagement, das in den Dokumenten der (Römisch-)Katholischen Kirche enthalten ist. Anschließend wird am Beispiel der „politischen Predigt“ gezeigt, wie die Verschränkung von Gemeinde, Kirche und Gesellschaft im heutigen Christentum funktioniert.

Dr. Anna Marie Halasová (Masaryk-Universität Brno, Tschechische Republik): „Mit Brennender Sorge“ – explizite und implizite Bewertungsmittel in einer religiösen Botschaft mit politischen Folgen
In meinem Beitrag wird die Enzyklika „Mit Brennender Sorge“ analysiert. Von der Erwägung der Gemeinsamkeiten bzw. der Unterschiede zwischen der Sprache der Politik und der Sprache der Religion ausgehend werden evaluative sprachliche Mittel kurz theoretisch behandelt. Das Anliegen des Referats besteht darin, zu zeigen, wie die Kritik des totalitären Regimes in den Zeiten der Bedrohung aussah: Es interessieren vor allem indirekte bewertende sprachliche Mittel sowie Argumentationsstrategien.

Dr. Magdalena Feret (Jan Kochanowski-Universität Kielce, Polen): Freiheitskonzept in den Predigten von Jerzy Popiełuszko
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit dem Freiheitsbegriff in den Predigten, die anlässlich der Gottesdienste für die Nation von Jerzy Popiełuszko gehalten wurden. Es werden ausgewählte (polnische) Textabschnitte aus den genannten Predigten analysiert, in denen das Freiheitskonzept angesprochen wird. Die Zielsetzung der Analyse besteht darin, darzustellen, wie die Idee der Freiheit von Jerzy Popiełuszko aufgefasst und wie sein Freiheitskonzept in den Predigten sprachlich realisiert wird.

Dr. Urszula Niekra (Jan Kochanowski-Universität Kielce, Polen): Sprache als Ausdruck der Freiheit in politischer und biblischer Interpretation am Beispiel des Buches von C. Hipp „Die Freiheit, es anders zu machen: Mein Leben, meine Werte, mein Denken”.
In dem Beitrag wird versucht, den in ausgewählten Presseartikeln und im Buch von C. Hipp enthaltenen Freiheitsbegriff zu untersuchen. Fokussiert werden dabei die biblische und die politische Auffassung von Freiheit. Von besonderem Interesse sind die Häufigkeit und die Intensität, mit denen in den analysierten Texten auf das biblische Verständnis von Freiheit Bezug genommen wird.

Dr. Eva Maria Hrdinová (Universität Ostrava, Tschechische Republik): Eis pollá etē, Déspota – und wer ist gemeint? Zum Wort despótēs (= Herrscher, Gebieter ...) in der orthodoxen Göttlichen Liturgie des hl. Johannes Chrysostomos und seinen deutschen und tschechischen Translationsvarianten [Das Referat ist leider ausgefallen.]
Der Beitrag versucht Politisches und Religiöses zu verbinden, indem zum Kernthema das griechische Wort despotes wird (= Gebieter/Herrscher), welches im Text der orthodoxen Chrysostomos-Liturgie zu frequentierten (Theo-)Lexemen gehört. Behandelt wird das Wort samt seiner Distribution und Extension sowohl im griechischen und krichenslawischen Original als auch mit Rücksicht auf deutsche und tschechische Translationssvarianten anhand von ausgewählten Übersetzungen (= Gebieter, vladyka ...). Festgestellt wird, ob, wie oft und in welchen Kontexten mit diesem Wort weltliche Herrscher (so etwa Kaiser, Landesherr ...) oder geistliche Autoritäten (so etwa Bischof, Priester ...) gemeint sind, oder aber auch ob, wie oft und in welchen Kontexten das Wort auch als Bezeichnung für Gott fungieren kann und ob und nicht zuletzt Unterschiede zum gemeinsprachlichen Usus der Translationsäquivalente Gebieter und vladyka im Deutschen und Tschechischen auftreten. Berücksichtigt werden dabei auch Parallelen und Unterschiede in Bezug auf die im Beitrag vorgestellten Übersetzungen. Hinterfragt werden besonders Übergangszonen, wo es durch Translation zu Unklarheiten oder semantischen Verschiebungen kommt. In Betracht wird natürlich auch die byzantinische Beziehung zum Landesherrn gezogen und ihre bis heute zu erkennende Resonanz im Formular der Chrysostomos-Liturgie.

Derya Karadal, M.A. (Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Deutschland): Mikrostrukturelle Untersuchungen zu Übersetzertraditionen im Koran (Französisch, Türkisch, Deutsch und ausgewählte Turksprachen) unter Einbeziehung der Schönen Namen Gottes
In diesem Promotionsprojekt, das an der Schnittstelle von Übersetzungswissenschaft und islamischer Philologie anzusiedeln ist, sollen die 99 Schönen Namen Gottes nach der Art ihrer Bildung im Arabischen und ihrer Übersetzung ins Französische, Türkeitürkische und Aserbaidschanische (der engsten Verwandten des Türkeitürkischen), d.h. nach ihrer Übersetzung in Sprachen, die eine radikal andere Sprachstruktur besitzen, untersucht werden. Dabei sind die Begriffe sowohl im interlingualen, als auch im intraligualen Kontext zu analysieren. Hauptziel dieses Forschungsprojektes ist es, herauszufinden, wie mit typischen morphologischen und syntagmatischen Erscheinungen des Arabischen umgegangen wird. Vor diesem Hintergrund wird der Frage nachgegangen, ob überall dort, wo im Arabischen dieselbe Wurzel vorkommt, auch in den Übersetzungen etymologisch verwandte Wörter benutzt wurden. Mit der Arbeit soll aufgezeigt werden, welche Wortbildungsverfahren eingesetzt wurden, um eine Beziehung zum Ausgangstext herzustellen. Ferner ist zu prüfen, wie viele Übersetzer gleich vorgegangen sind, ob gleiche Begriffe und Verfahren von den Übersetzern konsistent mit den gleichen Übersetzungen versehen wurden und ob es einen Bruch in der Übersetzungstradition gibt. Die Basis der Analyse bilden alle in den genannten Sprachen verfügbaren Übersetzungen. Erste Ergebnisse lassen erkennen, dass durch die Übersetzung von Mikroelementen die Qualität von Übersetzungen schnell festgestellt werden kann. Aus übersetzungswissenschaftlicher Sicht wird somit ein hohes Maß an Effizienz und Ökonomie erreicht, was sich positiv im Kostenfaktor widerspiegelt. Bei der Analyse von Mikroelementen wird ebenfalls deutlich, dass diese, obwohl sie unterhalb der Bedeutungsebene liegen, politische Ideologien widerspiegeln können.

Dr. Bernd Bauske (Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Deutschland): Gottesnamen
Namen, deren Bedeutung noch immer nicht nur aktualisierbar ist sondern auch effektiv aktualisiert wird, kommen häufig als göttliche Attribute vor.
Die Tatsache, dass sie kontextlos betrachtet werden können, macht sie, sofern und soweit sie in entsprechenden heiligen Texten (im weitesten Sinne) der Hochreligionen auftauchen, zu Elementen, die sich gut als mikrostrukturelle Klassifizierungselemente von eben diesen Texten eignen, falls man die technische Seite der Übersetzung komplexer semantischer Inhalte nach handwerklich-sprachstrukturellen Überlegungen zur Grundlage nimmt. Da die uns bekannten Hochreligionen zwar organisationell in Nationalkirchen aufgestellt sein können, viele ihrer (Grund-)Texte jedoch nichtsdestoweniger aufgrund ihres grundsätzlich globalen Anspruchs tendenziell in alle, realiter in sehr viele Sprachen übersetzt werden, eignet sich dieses Vorgehen zum einen (auch) gut, Übersetzungstraditionen aufgrund wenig bis gar nicht ideologisierter (eben handwerklicher) Elemente aufstellen zu können, zum anderen auch, um an kleinen bis kleinsten sprachlichen Elementen, die bestenfalls sogar unter der Wortebene, das heißt unter semantisch reflektiertem sprachlichem Handeln liegen können, „einfach nur“ die Qualität einer Übersetzung schnell und ohne größeren Aufwand auf materialiter der Sprache inhärenten und diese jeweils definierenden Charakteristika bestimmen zu können. Je verschiedener die Sprachen (bei der Wortbildung) strukturell sind, desto offensichtlicher wird das Problem (ob auch offenbarer, wäre noch zu sehen).
Innerhalb des Islam wird eine solche Gruppe von Wörtern durch das Vorhandensein vieler der sogenannten – 99 – Schönsten Namen Gottes im Koran praktisch frei Haus geliefert. Zumal das Arabische durch seine Wortbildungsmechanismen auch sehr komplexe Begriffe sehr kompakt – und sehr verschieden von den Hauptsprachen, in die er übersetzt wird – „verpacken“ kann.
Soweit wir sehen, gibt es weder im AT noch im NT entsprechende Möglichkeiten, zumal die göttlichen Attribute oder christologischen Titel an Zahl nicht im entferntesten an die 99 – in Wirklichkeit sind es noch mehr Schönste Namen – heranreichen.
[Ich sehe hier vom Sonderfall der 100 schönsten Namen bei Ramón Llull ab – zumal diese auch keine Rezeptionstradition und damit auch keine Übersetzungstradition entwickeln konnten –, die allerdings zu untersuchen wären.]
Die mystischen Traditionen der Reflexion über und Versenkung in diese „Beinamen“ eignen sich ungenügend bis gar nicht für unsere Zwecke, da sie auf dem semantischen und transzendenten Niveau agieren und das zur Verfügung gestellte Material sehr gering ist (so bei dem Leuchtturmtext dieser Tradition, der in der Tat in eine ganze Anzahl von Sprachen übersetzt wurde, der Schrift über die göttlichen Namen des Pseudo-Dionysius Areopagita).
Könnte es gemeinsame mikrostrukturell untersuchbare Elemente zwischen Koran und Bibel geben? Mit dieser Frage versucht sich der Beitrag auseinanderzusetzen.

REFERATE am 23. Juni 2016:

Prof. Dr. habil. Albrecht Greule (Universität Regensburg, Deutschland): Schau gnädig auf jene, die uns regieren. Einführende Überlegungen zu Sprache der Religion und Sprache der Politik.
In dem Referat wird versucht, die Kommunikationssituationen, die durch politische Texte charakterisiert sind, auf der Basis von Taxonomien, mit solchen zu kontrastieren, die in religiösen, vornehmlich in gottesdienstlichen Kommunikationssituationen verwendet werden. Es wird sich unter diesem Ansatz zeigen, dass es im Bereich der Texte nur wenige Überschneidungen gibt und beide Felder, Religion und Politik, wenig gemeinsam haben und wohl differenziert sind. Berührungspunkte mag es bei Reden/Predigten geben. Überschneidungen der Art, dass in der Politkommunikation Theologismen und in der Sakralkommunikation Politismen (z.B. Formulierungen wie das Zitat aus einem liturgischen Gebet im Vortragstitel) vorkommen, werden am Schluss des Vortrags diskutiert.

Dr. Jan Hajduk (Jan Kochanowski-Universität Kielce, Polen): Zwischen Himmel und Erde - zur Erinnerung an die gefallenen Soldaten auf den Friedhöfen
Unter den Verstorbenen, die auf den Friedhöfen ihren ewigen Schlaf schlafen, liegen auch Soldaten, die im Kampf ums Leben gekommen sind. Sie wurden auf den einzelnen Soldatengrabfeldern begraben oder auf kleinen Soldatenfriedhöfen (vor allem aus dem Ersten Weltkrieg). Im vorliegenden Beitrag wird ein Versuch unternommen, die da entwickelten Erinnerungsformen zu rekonstruieren. Die Analyse beinhaltet sowohl die Grabinschriften als auch die bildhaften Darstellungen der Hingabe der Soldaten an das Vaterland (Denkmäler, Fotos).

Dr. Agnieszka Gaweł (Jagiellonen-Universität Kraków, Polen): Das Bild der US-Präsidentschaftswahlen in der deutschsprachigen katholischen Presse
Die im Rahmen der holistischen Ansätze in der Kognitiven Linguistik bearbeitete Methodologie liefert das Werkzeug für die Beschreibung von sprachlichen Reflexen der kollektiven Denkmuster, die für die Analyse des Sprachgebrauchs im politischen und religiösen Bereich von besonderer Relevanz sind. Im vorliegenden Beitrag unternehmen wir einen Versuch, das Bild der US-Präsidentschaftswahlen in der deutschsprachigen katholischen Presse zu rekonstruieren. Im Mittelpunkt unseres Interessenspektrums stehen die sprachlichen Reflexe von gruppenspezifischen Denkmustern, die das anhand der katholischen Presse rekonstruierbare Bild der US-Wahlen von der sprachlichen Darstellung des genannten Ereignisses in der im Hinblick auf das Religionsbekenntnis unmarkierten Presse unterscheiden. Die theoretische Grundlage für unsere Analyse bilden zwei kognitive Ansätze: die Kognitive Grammatik von Ronald Langacker und die kognitiv orientierte Konzeption des sprachlichen Weltbildes von Jerzy Bartmiński.

Dr. Yuriy Tkachov (Georg-August-Universität Göttingen, Deutschland): Sprachliche Besonderheiten der Darstellung der kirchlich-politischen Theorie „Moskau – das Dritte Rom“ in der russischen Barockliteratur
Die Theorie des moskowitischen Dritten Roms, die Ende des 15. und Anfang des 16. Jh. durch Philotheus, einen Mönch des Eleazar-Klosters in Pskow, verbreitet wurde, war besonders charakteristisch für die ideologisch-schöpferische Kraft des Moskauer Reiches und für seine kirchliche Didaktik. Die Hauptaufgabe der Idee der besonderen religiösen und politischen Mission Moskaus war, die Zarengewalt „durch göttliche Gnade“ für immer zu stärken. In dieser Grundvorstellung lag der Gedanke der welthistorischen Bestimmung Moskaus als „Dritten Roms“ (nach dem wirklichen Rom und Konstantinopel) und das Bild von seiner wichtigen Funktion als angeblich dem „einzigen unabhängigen Zentrum“ aller slawischen und orthodoxen Staaten sowie der ganzen Christenheit überhaupt beschlossen. Im Grunde genommen ist das „Moskau als Drittes Rom“ eine historiosophische Doktrin, die der kirchlich-politischen Ideologie des Moskauer Staates im 15., 16. und 17. Jh. zugrunde lag und sich auf der Basis der aus Byzanz entlehnten Lehre über das „ökumenische christliche Reich“ bildete. Bald nach ihrer Entstehung entwickelte sich diese messianische Idee zur nationalen Theorie von Moskowien und seiner Kirche, in den nachfolgenden Jahrhunderten übte diese Theorie weiter einen riesigen Einfluss auf die Kultur und Weltanschauung des russischen Volkes aus. Sie wirkte auch auf die Entstehung der unbegrenzten Macht der russischen Herrscher ein, die sich mit der „von Byzanz ererbten Überlieferung der göttlichen Abstammung der kaiserlichen Macht“ rechtfertigte.
Es kommt mir darauf an, das „Dritte Rom“ – die Theorie, die sich in erster Linie in den Werken von Vertretern der russischen Kirche (Patriarchen, Metropoliten, Mönchen u. a.) gestaltete und entwickelte – vom Standpunkt der sprachlichen Besonderheiten aus zu beleuchten, die in den einschlägigen Texten zu finden sind. Dabei möchte ich die breite Verwendung des rein religiösen Wortschatzes, der für Predigten und erbauliche christliche Texte charakteristischen Wörter sowie von Kirchenslawismen (also Wörtern aus der Sprache, die sowohl im 16. und 17. Jh. als auch später vor allem die Liturgiesprache der russisch-orthodoxen Kirche war und diese Hauptfunktion bis jetzt erhält), Archaismen, Hellenismen, besonderen Redewendungen usw. in denjenigen die Theorie des Dritten Roms widerspiegelnden Werken, die in der Barockepoche – einer der wichtigsten Epochen in der russischen Kulturgeschichte – geschaffen wurden, zu analysieren und die Ursachen für diese sprachlichen Spezifika festzustellen.
In der Kultur des Barock spielte die betreffende Theorie eine ganz besondere Rolle. Diese Lehre kristallisierte sich in dieser Epoche heraus, damals beriefen sich oft sowohl die russischen Zaren (Alexei Michailowitsch, Peter der Große u. a., die das „Dritte Rom“ nicht nur unter politischem sondern auch unter konfessionellem Aspekt betrachteten) als auch die Oberhäupter der russischen orthodoxen Kirche (z. B. der Patriarch Nikon und der patriarchalische „Statthalter“ Stefan Jaworskij) auf sie. Das Thema wurde auch von fast allen russischen barocken Dichtern gestreift (z. B. von Simeon Polockij in seinen Lobgedichten). Es lässt sich festhalten, dass diese ideologische „Schöpfung des Moskauer orthodoxen Christentums“ sich in der Barockepoche zur Ideenwaffe der ganzen russischen orthodoxen Konfession – sowohl der Alten (d. h. der Kirche der Altgläubigen) als auch der Neuen (d. h. der reformierten Kirche) – entwickelte, sogar im verbalen Kampf dieser Kirchen gegeneinander.

Dr. Ewa Piasta (Jan Kochanowski-Universität Kielce, Polen): Gertrud von le Forts literarische Bilder der Macht. Zum politisch-religiösen Konzept in den Novellen Die Consolata und Die Tochter Farinatas
Im Werk von Gertrud von le Fort spielen die Phänomene – Religion und Politik – eine zentrale Rolle. Sie beeinflussen einander, indem sie mal gemeinsame, mal entgegengesetzte Ziele vertreten. Sie bedienen sich ähnlicher Mittel zur Machtausübung und sind so eng verknüpft, dass man sie isoliert nicht betrachten kann.
Ziel des Beitrags ist es, anhand von Novellen Die Consolata und Die Tocher Farinatas die Beziehungen zwischen Religion und Politik darzustellen. Sie lassen sich auf der Ebene der Thematik (semantische Aussage des Werkes), des Vokabulars und der Werte (Axiologie) analysieren und interpretieren. Es wird im Beitrag zudem nach der Funktion dieser Phänomene im Werk der Dichterin gefragt.